Aquarium in Deutschland, 6.-15. November 1999

Autoren: Andrej Sabelfeld und Chris Wachsmuth

 

Der fünfte Tag (10.11.99), Berlin

Chris: Um Zwölf holte ich Stas, Gontschik und Alik ab. Nun erwies sich die Wahl des Hotels als etwas nachteilhaft - in der Mittagszeit vom Westteil der Stadt in den Ostteil zu gelangen war noch nervender als während des Berufsverkehrs. Als ich die zweite "Fuhre" Musiker brachte, kam mir Stas mit funkelnden Augen entgegen: das Personal arbeitete sehr langsam und, was noch schlimmer war, es fehlte ein Monitormischpult. "Dafür müßt ihr zahlen!" drohte der Impresario. Da ich wußte, wie man in solch Situation handeln muss (mein Chef auf Arbeit ist auch ein ausgesprochener Choleriker), schlug ich Stas vor, die Sache NACH dem Konzert zu klären. Ich ging davon aus, dass er sich beruhigen wird, und wenn das Publikum das Fehlen dieses Mischpults, über dessen Existenz ich bis zu diesem Moment noch keinerlei Ahnung hatte, nicht bemerken würde, gäbe es auch keinen Grund für Sanktionen. Das Wichtigste war das Ergebnis! Sicherheitshalber erkundigte ich mich bei Gontschik, was er darüber dächte. "Na ja... Mit einem Mischpult wäre es natürlich besser. aber kein Problem - wir schaffen das schon!" - beruhigte mich der Tontechniker. Und wer war schließlich in dieser Frage am kompetentesten.

Ich fühlte mich nicht sonderlich gut - bis jetzt war ich immer noch nicht sicher, ob ausreichend Publikum erscheinen würde, das finanzielle Risiko hing immerhin an Pawel und mir. Nun noch dieses technische Problem! Und zu allem Übel war ich aus Russland bereits mit einer Darmerkrankung angereist. Pawel hatte sich bereits am Vormittag um die Anlage gekümmert. Seine Band, die erst ein paar Wochen vor dem Konzert gegründet worden war, stellte ihr Schlagzeug und anderes Gerät zur Verfügung, das Aquarium nicht mitbringen konnte. Ich bedauerte nun, dass ich vor der Tour für einen ganzen Monat auf Dienstreise geschickt worden war und erst am Vorabend des Konzerts wieder in Berlin war. Nicht umsonst mussten wir in der Jugend Lenins Werke studieren, der vollkommen richtig bemerkte: Vertrauen ist gut - Kontrolle ist besser! An Kontrolle mangelte es hier. Pawel war die letzte Zeit vor der Tournee mit den Proben seiner eigenen Band beschäftigt, und Sweta hatte auch so schon genug geschindert - sie hätte gar keine Zeit gehabt, sich auch noch damit zu befassen.

Halb Drei! Es war Zeit, Boris abzuholen! Aber wir hatten noch keine Backstage-Ausweise und außerdem musste der Kameramann samt Kamera noch abgeholt werden. Er hatte versprochen, das gesamte Konzert auf Betacam aufzunehmen. Pawel war unterwegs, um die Verpflegung zu besorgen. Ich hatte zwar am Vortag mit dem Tränenpalast ein Cateringservice vereinbart, aber wurden von ihnen schmählich sitzengelassen! Pawel war bereits eine ganze Stunde weg. Nur Andrej konnte die Situation retten! Er kehrte gerade mit Sweta aus dem Schreibwarenladen zurück, wo er etwas gefunden hatte, aus dem man Backstage-Ausweise basteln konnte. Er fuhr gleich wieder los, um den Kameramann abzuholen. Ach, wenn wir Andrej in diesen Tagen nicht gehabt hätten!!!

Boris kam um Vier und probte mit den Jungs bis halb Sechs. Stas wollte, solange Pawel mit seiner Gruppe "Aeroplan" probte, zu Abend essen. In der Nähe des Tränenpalastes gibt es eine Menge Restaurants. Wir überquerten mit den Musikern die Spree und gingen in ein Weinlokal, gleich neben dem Berliner Ensemble. Ich hatte weder Zeit, noch Laune, der Band Gesellschaft zu leisten und ging zum Tränenpalast zurück. Unterwegs kaufte ich mir und Gontschik einen Döner Kebap. Ich hätte nicht gedacht, dass es so einfach ist, einen Menschen glücklich zu machen...

Genau halb Acht traf Sweta ein. Alle warteten schon auf sie, da sie die Gäste- und VVK-Liste hatte. Die Massen drangen durch den Eingang, und Sweta und ich versuchten, die Vorbestellungen abzuarbeiten. Hinter mir stand, mit einer Büchse Bier in der Hand, Lars. Er hatte uns zu Beginn in organisatorischen Dingen beraten. Er war es auch, der den Tränenpalast an Land gezogen hatte - nachdem mir gesagt worden war, dass es keine freien Tage mehr gäbe! Lars beobachtete phlegmatisch diese ganze Hysterie und bemerkte lakonisch: "Den Fehler hab ich anfangs auch gemacht...". Jetzt weiß auch ich, dass man den Vorverkauf nicht bis unmittelbar vor dem Konzert hinziehen darf!

Sweta und ich wurden immer selbstsicherer - wir ließen nicht mehr jeden Hinz und Kunz mit Presseausweis durch. Die Gästeliste war auch so lang genug, mindestens 50 Leute... Haju mit seiner Frau trafen aus Kiel ein - ein wahrhafter Fan! Etwas später kam Matthias. Er hatte am Vortag einen Artikel über Grebenschikow unter dem Titel "Der Patriarch" veröffentlich. Auch Vera vom Radio Multi-Kulti trudelte ein. Unterm Strich standen wir mehr als ein Stunde an der Kasse. Die Gruppe Aeroplan begann um Viertel vor Neun. Wir hatten uns mit Pawel zuvor fast in die Haare bekommen, wann denn eigentlich der Beginn sei. Auf den Plakaten stand nur "20.00" - und es war unklar, ob es sich dabei um den Einlaß oder den Beginn handelte. Ich war vollkommen durcheinander und erinnerte mich jetzt erst wieder, dass es ja einmal meine Idee war, die Information so zweideutig zu halten.

Als Sweta und ich die Kasse verließen, sang Pawel bereits das vorletzte Lied. Ich hatte bezüglich seines Auftritt im Vorfeld Bedenken, denn ich kannte ihn bis dato nur als Liedermacher. Doch er spielte besser, als ich erwartet hatte.

Das zweite Konzert

Der Hauptteil des Aquarium-Konzerts unterschied sich nicht vom ersten. Ehrlich gesagt war ich überhaupt nicht in der Lage, dem Konzert richtig zu folgen. Eine halbe Stunde stand ich bei meinem Namensvetter, dem deutschen Manager der Gruppe Aukzyon, am CD-Stand. Er verkaufte gleichzeitig die CDs, die er selber mitgebrachte hatte. Allerdings war er etwas erstaunt - er gab Stas einen Teil vom Erlös seiner CDs ab, die Einnahmen von dessen CDs behielt dieser allerdings ganz und gar. Es gibt halt keine Gerechtigkeit mehr auf dieser Welt...

Das Publikum war begeistert. Und lebhafter als das in Münster. (Meiner Meinung nach waren mehr Deutsche anwesend als bei den anderen Konzerten. Ich habe hier zum Beispiel Dirk kennengelernt, der alle Aquarium-Alben hat! :)) Dafür war der Sound schlechter. Sogar jemand mit schlechtem Gehör hätte das bemerkt. Die Zuhörer verlangten nach Zugaben. Die ersten Songs waren die gleichen. Ich war gespannt, ob auch diesmal außerplanmäßige Titel gespielt werden würden. Wertinskij wurde von Boris nicht gespielt, dafür erklang "Gorod". Am Vorabend, im griechischen Restaurant, waren wir Zeuge eines Streits zwischen Ded und Boris. Die Kunst bestehe darin, erklärte Ded, eine einzige Note zu spielen, diese dafür aber optimal. Was er nun in diesem Lied auch bewies! Die Leute entzündeten ihre Feuerzeuge. Ich musste daran denken, wie Karl sich in Münster darüber wunderte, dass die Leute die Beleuchtung ihres Handys an Stelle eines Feuerzeugs einschalteten. Ich weiss nicht, wie es bei den anderen war - ich, für meine Person, tat es, damit Sweta in Berlin das Konzert zum Teil miterleben konnte. Nicht, dass ich damit einen neuen Trend ausgelöst habe?!

Es war Wahnsinn! Die letzten Titel waren "Türen des Gras" und "Tee", wo Bob Mundharmonika spielte und, genau wie bei "Gorod" der gesamte Saal mitsang. Gegen Ende des Konzerts nahm Boris seine Brille ab! Ich konnt immer noch nicht glauben, was geschehen war - zum ersten Mal war Aquarium in Berlin aufgetreten! Träumte ich das nur?

À Hier ist die Seite von Sergej Schwarz über das Berliner Konzert.

Nach dem Konzert

Wir fuhren in die Paris Bar und tranken dort noch ein Bier. Danach löste sich die Truppe auf: Die müden Musiker gingen ins Hotel, Stas, wie immer, machte sich auf die Suche nach einem Klub. Und wir, total überdreht durch das gelungene Konzert und meinen Geburtstag, fuhren in das "Cafe Burger", den Christophs Freunde am gleichen Tag eröffnet hatten. Wir relaxten dort recht ordentlich, tanzten mit einer Gruppe ebenso (aber aus anderem Grund) glücklicher Leute, die sich ebenso dort versammelt hatten. Was für ein Tag!

 

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